Stressbewältigung bei Pflegenden

    • Offizieller Beitrag

    Wie Pflegende sich gegen krank machenden Stress wappnen, ihre seelische Widerstandskraft stärken und so auch Krisensituationen gut und gesund überstehen können?


    Aus der Praxis:

    Zitat

    Ich arbeite gerne in unserer Einrichtung. Ich habe mir die Stelle lange ausgesucht, weil ich an meinem bisherigen Arbeitsplatz in der Klinik das Gefühl hatte meinen Patienten nicht mehr gerecht zu werden. Aber ich spüre immer wieder und immer öfter, wie sehr sich unsere Bewohner ein längeres Gespräch mit mir wünschen. Aber ich kann es einfach nicht leisten. Trotz dem Engagement sind wir immer wieder zu wenige. Die Schuldgefühle wenn ich die Wünsche und Anforderungen von Bewohnern nicht erfüllen kann, halte ich immer weniger aus. Das ist wie eine Spirale, die mich immer weiter nach unten zieht, und ich merke, wie ich langsam und unaufhörlich in eine Krise hineinschlittere. Ich könnte schon bei den kleinsten Anlässen ausrasten. Und mit meinem Partner kann ich darüber nicht reden - der sagt, er kann diese Geschichten aus meiner Arbeit langsam nicht mehr hören.

    Die Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz, insbesondere auch im Pflegebereich, bedeuten immer mehr Arbeit und immer weniger Personal. Ist es möglich im Pflegebereich zur arbeiten, ohne unter ständigem Stress zu stehen und mit dem Scheitern an den eigenen Ansprüchen konfrontiert zu werden? Sicher ist, die Belastungen werden weiter steigen.


    Stress ist mittlerweile alltäglich und schon fast zur Modeprognose verkommen. "Stress kann alle möglichen Beschwerden hervorrufen: Pickel, Haarausfall, Magenprobleme, Herzrasen, Muskelverspannungen...Stress ist der universale Schlüssel für alle modernen Leiden. Das Zauberwort für seelische und körperliche Symptome jeder Art." (Bartens, W 2005)


    Stress ist nicht bedrohlich, wenn der stressauslösenden Situation wieder eine Phase der Entspannung und Erholung folgt. Nicht so bei chronischem Stress. Die WHO hat deshalb beruflichen Stress zu "einer der größten Gefahren des 21.Jahrhunderts" erklärt.


    Aus den vielen Veröffentlichungen zum Thema "Resilienz" (die Fähigkeit Stress erfolgreich zu begegnen, Krisen zu bewältigen und an ihnen vielleicht sogar zu wachsen) erscheinen nach einer Analyse von 19 Langzeitstudien insbesondere fünf Faktoren relevant, die geeignet sind Krisen zu bewältigen. (Fröhlich-Gildhoff, Rennau-Böse 2014)

    • Selbstwahrnehmung
    • Selbststeuerung
    • Selbstwirksamkeit
    • Aktives Herangehen an (problematische) Situationen
    • Problemlösen

    Viele Eigenschaften, die Menschen widerstandsfähig machen, werden bereits in der Schwangerschaft und frühen Kindheit angelegt. Eine "gute" Kindheit ist die wichtigste Ressource gegen Belastungen. Sie ermöglicht es auch in Krisen auf hilfreiche Beziehungen und Institutionen zurückzugreifen und sich Untersützung zu holen. Umgekehrt führen Belastungen zu einer Zeit, in der das angeborene Stressverarbeitungssystem noch nicht hinreichend ausgebildet ist, zu "biologischen" Narben, die sich lebenslang in einer eingeschränkten Funktion des Stressverarbeitungssystems und erhöhter Verletzlichkeit bei Belastungen auswirken. Die Forschungsergebnisse belegen aber auch, dass man immer dazulernen und Entwicklungsschritte nachvollziehen kann, die in der Kindheit nicht oder nur unzureichend gelungen sind. Seelische Widerstandskraft kann also auch später erworben werden.


    Wie kann ich Krisen vorbeugen?

    Präventiv, durch vorausschauendes Denken, Achtsamkeit und Selbstfürsorge, eventuellen Krisen und Erkrankungen durch Stress vorzubeugen wäre die beste Methode . Dazu braucht es aber:

    • die Förderung der Selbstfürsorge um eigene Grenzen und Ressourcen einschätzen zu können
    • eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Pflegezielen und -idealen
    • konsequente Trennung von Arbeit und Freizeit
    • die Förderung von Lebenslust als Gegenpol zur beruflichen Belastung
    • die Suche nach sozialer Unterstützung außerhalb des Arbeitsumfeldes
    • die regelmäßige Anwendung von Entspannungsverfahren.

    Ein zu tiefes Einbinden in das medizinische System bewirkt eher eine systematische Entfremdung von der Wahrnehmung eigener Bedürfnisse. Selbstfürsorge wird nicht vermittelt oder gewünscht und ein vorausschauendes Krisenmanagement wird damit erheblich erschwert.


    Was kann ich also bei Stress für mich tun?

    Stress blockiert durch die Ausschüttung des Hormons Cortisol den Abruf hilfreichen Wissens aus dem Gedächtnis. Damit werden wichtige Funktionen der Selbstfürsorge blockiert oder beeinträchtigt. Besonders wichtig ist es daher bei der Krisenbewältigung sich selbst zu beruhigen und dadurch einen konstruktiven Umgang mit der Krise zu ermöglichen.


    Das ABC der Stressbewältigung (Loew 2017)

    A = Atemtechnik

    B = Bewegung

    C = Collection

    D = Dokumentieren

    E = Erinnern oder Emotionen

    FE = Funktionelle Entspannung

    • ATEMTECHNIK wird seit tausenden von Jahren in kontemplativen Traditionen entwickelt und gepflegt. Autogenes Training, Meditation oder Tai-Chi erreichen gezielte Entspannung u.a durch Konzentration auf die Atmung.
    • BEWEGUNG: Spazierengehen oder ein Sich-Wiegen von links nach rechts oder von vorne nach hinten und zurück im Sitzen oder Stehen führen zu einer deutlichen Entspannung.
    • COLLECTION Singen, Supervision, Coaching oder Psychotherapie. In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass Aussprechen beunruhigender Inhalte zu einer spürbaren, auch physiologisch, nachweisbaren Entlastung führt (Hariri et al, 2003).
    • DOKUMENTIEREN auch das Niederschreiben eigener Gefühle, Gefahren und Fantasien entlastet und hat positive Auswirkungen auf das Immunsystem (Reemtsma, 1998).
    • ERINNERN, EMOTIONEN: Das Niederschreiben ist Erinnerungsarbeit und Integrieren der eigenen Erfahrungen.
    • FUNKTIONELLE ENTSPANNUNG: Die von Marianne Fuchs entwickelte Methode integriert die Focussierung der Wahrnehmung auf den eigenen Körper, kleinen Bewegungen an kleinen Gelenken und bewusste Atmung (Herholz 2009).

    Ausreichend Schlaf hat ebenfalls eine oft unterschätzt wohltuende und heilsame Wirkung. Im Schlaf werden außerdem Gedächtnisinhalte im sog. Langzeitgedächtnis gefestigt.


    Wer sich all diese Fähigkeiten aneignet wird nicht unverletzbar, kann aber Krisen effektiver bewältigen und sie zur persönlichen Entwicklung nutzen.

    "Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Störungen, sondern die Fähigkeit, mit ihnen umzugehen." (Marianne Fuchs)