Nach dem Lesen dieser Überschrift hat wohl jede und jeder Einzelne gewisse Erinnerungen an schreckliche Ereignisse im Kopf. Vielleicht auch bestimmte Gefühle und Vorstellungen, wie es einem selbst nach einem potenziell belastenden Ereignis erging oder wie es betroffenen Kollegen wohl gehen mag. Diese Erinnerungen, Gefühle und Vorstellungen sind mehr oder weniger intensiv und hängen u.a. auch davon ab, wie nah man selbst an diesem Geschehen tatsächlich oder aber auch indirekt, beispielsweise weil man jemanden persönlich kannte, der tödlich verunglückte, beteiligt war. Es hängt aber auch davon ab, wie man im Nachgang diese Ereignisse für sich selbst verarbeitet hat.
Grundsätzlich gibt es eine Vielzahl möglicher belastender Ereignisse im Leben eines Menschen. Das eine oder andere Ereignis führt zu Krisen, die in der Regel aber kurz- oder mittelfristig zu bewältigen sind und letztendlich zur menschlichen Reifeentwicklung gehören. Zu derartigen Ereignissen zählen Beziehungskonflikte, Trennung/Scheidung, Schulversagen oder berufliche Misserfolgserlebnisse, aber auch Verschuldung. Solche Lebensereignisse sind zwar häufig psychosozial belastend, unterscheiden sich jedoch von Ereignissen mit tatsächlichem oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung oder einer Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person bzw. anderer Personen. Mit diesen "kritischen Ereignissen", die zusätzlich außerhalb des regulären Erfahrungshorizontes eines Menschen liegen, werden in Sozialberufen Tätige, Mitarbeiter in Hilfsorganisationen, der Polizei, Feuerwehr u.a.. im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung – berufsbedingt – um ein Vielfaches häufiger konfrontiert. Eine große Palette unterschiedlichster Sachverhalte von Einzelschicksalen bis hin zu Großschadenslagen begegnet vielen Mitarbeitern bei der Verrichtung ihres alltäglichen Dienstes. Die Bandbreite potenzieller Belastungsfaktoren in den genannten Berufsgruppen ist groß. Dieser Artikel beschränkt sich auf einsatzbedingte Belastungen bzw. potenziell belastende Ereignisse, wie sie sich in letzter Zeit beispielsweise mit dem Zugunglück in Bad Aibling, dem Amoklauf am Münchner Olympia-Einkaufszentrum, den Terroranschlägen in Ansbach und Würzburg oder dem Busunglück bei Münchberg in Oberfranken zugetragen haben. Diese Ereignisse sind nur eine unvollständige Aufzählung dessen, was Einsatzkräfte vielleicht miterleben mussten und als belastend empfunden haben. Genauso kann auch ein schwerer Verkehrsunfall, ein Suizid, exzessive Gewaltanwendung gegen Einsatzkräfte und vieles mehr aus dem täglichen Einsatzgeschehen zu Belastungen für den Einzelnen führen. Grundsätzlich weist das Erleben von schwerer Verletzung, Tod und Sterben – insbesondere wenn eigene Kollegen oder Opfer mit hohem Identifikationscharakter betroffen sind, oder die Gefahr des eigenen Todes oder schwerer Verletzung droht – ein hohes Belastungspotenzial auf.
Was kann jemand, der sich belastet fühlt, selbst dazu beitragen, damit er sich schnell und bestmöglich wieder erholt? Welche Unterstützungsmöglichkeiten werden durch den Arbeitgeber angeboten? Und wie sind die Zugangswege zu solchen Angeboten?
Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)
Im Folgenden wird in diesem Zusammenhang die Begrifflichkeit der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) eingeführt, um die Möglichkeiten der fachlich fundierten Unterstützung für Einsatzkräfte vorzustellen. PSNV beinhaltet die Gesamtstruktur und die Maßnahmen der Prävention sowie der kurz-, mittel- und langfristigen Versorgung im Kontext von belastenden Notfällen bzw. Einsatzsituationen. Sie wird unterschieden in PSNV-B: Maßnahmen für betroffene Personen aus der Bevölkerung und in PSNV-E: Maßnahmen für Einsatzkräfte.
Primärprävention
Kann für den Einzelnen bewirken, das Belastungsausmaß in künftigen, auch extremen Situationen zu senken und damit das Risiko von Traumafolgestörungen zu verringern, nach dem Motto "Wissen hilft."
Sekundärprävention
Maßnahmen der PSNV während und vor allem nachdem eine extreme Ereignissituation eingetreten ist, werden der sekundären Prävention zugeordnet. Unter Einsatzbedingungen, kommt es einerseits relativ selten vor, dass Sofortmaßnahmen der PSNV-E durch Fachkräfte erfolgen können oder müssen, da Aspekte wie beispielsweise eine kurze Einsatzdauer oder aber das "Funktionieren" dem auch fachlich entgegenstehen. Andererseits macht es Sinn, die Arbeit zusätzlich mit einer psychosozialen Einsatzbegleitung durch sogenannte Peers und psychosoziale Fachkräfte zu ergänzen. Bei Bedarf können dann aktive Sofortmaßnahmen getroffen werden, beispielsweise Einzelbetreuung ohne Zeitaufschub.
Eine schnelle Alarmierung ist oftmals auch eine Grundvoraussetzung für eine gut funktionierende Einsatznachsorge. Abgesehen von Erstinterventionen vor Ort in kollegialer und strukturierter Form sowie umgehend beginnenden psychologischen Einzelbetreuungsmaßnahmen, die bedarfsorientiert erfolgen, findet die methodisch-strukturierte Nachbereitung in der Regel im Abstand von wenigen Tagen bis hin zu zwei bis drei Wochen nach dem potenziell belastenden Geschehen statt. Die methodisch-strukturierte Nachbesprechung ist keine Psychotherapie.
Die Nachsorge in Form einer methodisch-strukturierten Nachbereitung findet in Gruppengesprächen und optional (zusätzlich zu den Gruppennachsorgegesprächen) in Einzelberatungsgesprächen nach SbE1-Standards statt. Die Durchführung und Leitung einer methodisch strukturierten Nachbereitung obliegt immer einer psychosozialen Fachkraft, die über eine wissenschaftliche Ausbildung im psychologischen, sozialwissenschaftlichen, pädagogischen, ärztlich-medizinischen oder theologischen Bereich verfügt, eine PSNV-E spezifische Qualifizierung (seit 2014: SbE), regelmäßige Fortbildungen und Feldkompetenz hat. Diese Einsatznachbereitung wird i. d. R. von Peers unterstützt; Peers sind Angehörige der jeweiligen Organisation die ebenfalls eine PSNV-E spezifische Qualifizierung (seit 2014: SbE), regelmäßige Fortbildungen nachweisen können, Akzeptanz unter den Kolleginnen und Kollegen genießen sowie über Organisationswissen verfügen.
Anlass für die Durchführung einer methodisch strukturierten Nachbereitung ist nicht die Belastung von Einzelnen, sondern das kritische Ereignis per se. Ein (Extrem)Ereignis, das bei jedem Menschen eine tiefe psychische Erschütterung hervorrufen kann, die wiederum mit negativ empfundenen Auswirkungen auf die psychophysiologische Verfassung und das allgemeine Wohlbefinden einhergeht. Eine zeitnah einsetzende Nachsorge kann eine Entlastung und einen prognostisch günstigen Verlauf auftretender Stresssymptomatik, wie Gedankenkreisen, schreckliche Bilder im Kopf, Alpträume u. v. m. bewirken. Sehr viele Betroffene zeigen nach einem derartigen Geschehen akute Belastungsreaktionen (ABR), die zumeist von selbst wieder abklingen. Viele entwickeln zu diesen ABR zusätzlich einen Symptomstress, der unnötig und sozusagen "hausgemacht" ist. Symptomstress entsteht aufgrund dysfunktionaler Zu- und Einordnung von Symptomen, die jemand vielleicht erstmalig in seinem Leben bei sich wahrnimmt. Anstatt sich darüber zu informieren, beispielsweise welchen Sinn diese Symptome haben, ziehen sich manche Betroffene zunehmend zurück. Sie versuchen diese innerpsychischen Zustände zuzuordnen und zu kompensieren, manchmal indem Alkohol und/oder Medikamente eingenommen werden, und geraten mehr und mehr in einen "Teufelskreis" aus Angst vor Kontrollverlust und Gedanken "verrückt zu werden". Zudem werden die Symptome bestenfalls eine Zeitlang unterdrückt, um dann unkontrolliert bzw. unkontrollierbar hervorzutreten. Typischerweise kommt es zu Schlafproblemen, fortschreitender Erschöpfung, was mittel- und langfristig zu einer ernsthaften Traumafolgestörung führen kann.
Unter Traumafolgen wird oftmals nur die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) gesehen. Aber genauso oder sogar noch häufiger kann es zu Partnerschaftsproblemen, Depressionen, Angststörungen, Substanzmissbrauch/-abhängigkeiten, körperlichen Beschwerden (Somatisierungsstörungen), sexuellen Störungen u. a. kommen. Daher empfiehlt es sich für Führungskräfte, in ihrer Fürsorgeverantwortung auf das PSNV-Angebot auf jeden Fall zuzugreifen, wenn ein kritisches Ereignis mit Belastungspotenzial für die eingesetzten Mitarbeiter (z. B. Suizid in den eigenen Reihen). Darüber hinaus sollte der selbst geäußerte oder über Dritte weitergeleitete subjektive Bedarf ebenfalls eine Alarmierung von PSNV-E- Kräften (Peers und psychosoziale Fachkräfte) nach sich ziehen. Und auch für die Führungskräfte selbst empfiehlt es sich, aufgrund der Fürsorgeverantwortung als Vorgesetzte, sich von einer psychosozialen Fachkraft fachlich kompetent beraten zu lassen.
Nicht zuletzt wird von Betroffenen im Nachgang oftmals berichtet, dass das Geschehene nicht die größte Belastung dargestellt habe, sondern das, was daraufhin in rechtlicher, bürokratischer und organisatorischer Hinsicht auf sie zugekommen sei. Zum Beispiel, wenn nicht geklärt ist, ob ein Dienstunfall vorliegt und die Kostenerstattung auf sich warten lässt. Oder, wenn nicht klar ist, wie es dienstlich weitergehen kann, ob jemand im Krankenstatus ist oder nicht. Häufig sind es Fragen und Angelegenheiten, die leicht zu regeln wären, aber unnötigerweise belastend zu dem eigentlich belastenden Einsatz hinzukommen. Hier ist eindeutig eine "administrative Assistenz" erforderlich, die meistens durch den Vorgesetzten des betroffenen Mitarbeiters geleistet wird.
Tertiärprävention
Tertiäre Präventionsmaßnahmen der PSNV-E erfolgen ab der vierten Wochen nach dem Anlassereignis nunmehr ausschließlich durch psychosoziale Fachkräfte (nicht durch Peers) und stehen Betroffenen zur Verfügung, die weiterhin eine Symptombelastung zeigen. Ziel ist es, wenn keine Erholung innerhalb von ca. acht Wochen eintritt, sondern eine Chronifizierung der Symptomatik gegeben ist, denjenigen zeitnah fundiert psychodiagnostisch zu untersuchen und ggf. psychotherapeutisch zu behandeln. Mit der Vermittlung an eine externe Institution, die fachlich fundierte Psychotherapie anbietet, ist die PSNV beendet. Weitere Kontakte des Klienten zur psychosozialen Fachkraft finden dann nicht mehr im Rahmen von PSNV-E statt und sollten aus fachlichen Gründen (allmählich) eingestellt werden. Schließlich möchte der Klient in seinen ursprünglichen Alltag zurückfinden, wo es vor dem Ereignis für gewöhnlich auch keine psychosoziale Fachkraft oder einen Peer an seiner Seite gab. Für die Diagnostik und ggf. Behandlung der Symptomatik oder Erkrankung ist der behandelnde Psychotherapeut zuständig und verantwortlich.
Was kann man selbst nach einem potenziell belastenden Ereignis beitragen, um sich wieder zu erholen?
Psychologisches Grundwissen gehört heutzutage schon zum Allgemeinwissen, wenn man sich vergegenwärtigt, was in den Medien über Stressmanagement, Resilienz, Burnout usw. in alle Welt hinausinformiert wird. Daher sollten Mythen, wie immer "stark" zu sein, darf keine Gefühle zeigen und schon gar nicht weinen, längst als veraltet und vor allem falsch in der Kuriositätensammlung archiviert worden sein. Sarkasmus, Zynismus und "Galgenhumor“ als Schutzpanzer gegen quälende Erinnerungen an extreme Situationen funktionieren nur bedingt und manchmal wendet sich dieses Verhalten gegen die eigene Person und führt eher zu Verbitterung oder Krankheit. Neben der eigenen Lebens- und Einsatzerfahrung verfügen z.B. Einsatzkräfte für gewöhnlich über die Basiskompetenz, psychische erste Hilfe zu leisten. Diese Kompetenz, die Unterstützung, das Engagement, die Hingabe mit der sehr viele Mitarbeiter tagtäglich ihren Dienstverrichten, verdient allemal im Umkehrschluss, dass Sie auch wirksame Hilfsangebote erhalten. Daher liegt es maßgeblich an der persönlichen Bereitschaft und Eigenverantwortung, Hilfsangebote, die der Arbeitgeber anbietet, in Anspruch zu nehmen.
Die Umsetzung der Standards in der PSNV -E- "ist Ausdruck der Fürsorge und Wertschätzung der Organisation gegenüber ihren Bediensteten.“ (Quelle: BP 03_17)